Freitag, 30. September 2011

zehn

Meine Sachen sind gepackt. Fertig für die Abreise. Der Satz klingt schön. Und ist doch so falsch. Es klingt, wie Urlaub oder ein Umzug in eine schöne Umgebung. So ist das nicht. Ich muss in eine andere Klinik. Wahrscheinlich Wochen. Nein, Monate. Ich möchte das nicht. Mein Kopf will das nicht. Meine Gedanken wollen das nicht. Die Stimme will das nicht.
Die Fahrt dauert lange. Sehr lange. Zu lange. Ich sitze mit meiner Mutter im Auto. Wir reden kaum. Ich habe auch keine Lust dazu. Ich fühle mich verraten. Verraten von allen. Verraten von der Welt. Niemand ist da für mich. Man ist gegen mich. Ich habe nur noch mich. Mich und die Stimme in meinem Kopf, die mir sagt, was ich zu tun habe. Sie sagt mir, was richtig ist. Und wichtig. Es gibt nur noch sie. Nur noch das Vertrauen zu mir selbst. Ich solle essen. Das ist das einzige, was ich hören kann. Von den anderen. Das einzige, was aus ihren Mündern kommt. Aber ich bin stärker. Ich muss es. Ich bin es. Ich bin ihnen überlegen. Ihnen allen. Sie haben nicht die Macht dazu, die ich habe. Ich bin ihnen überlegen, denn ich kann es beherrschen. Ich kann mich beherrschen. Ich habe die Kontrolle. Ganz alleine ich - niemand sonst.

Donnerstag, 29. September 2011

neun

Die Tage vergehen. Schnell. Langsam. Ich weiß es nicht.
Ärzte und Krankenschwestern waren da. Jeden Tag. Ich habe mich geweigert zu essen. Sie sagen es ist gefährlich. Was ich mache. Dabei mache ich doch nichts. Gar nichts. Sie bringen mir jeden Tag neues Essen. Ich rühre es nicht an. Unnötig, wie gesagt.
Jetzt sind wieder ein paar Pfleger hier. Sie reden mit mir. Bei mir kommt nicht viel an. Sie reden wieder von Magersucht. Von Magersucht, Abnehmen, Gefahren, Tod, Essen, Zunehmen, Leben, Gewicht.
Ich verstehe nur die Hälfte. Wenn überhaupt. Ich soll in eine andere Klinik. Diese hier kann mir nicht helfen. Ich wüsste auch nicht wobei. Mir muss niemand helfen. Das habe ich doch schon gesagt.

Mittwoch, 28. September 2011

Montag, 26. September 2011

sieben

Mir wird gesagt, ich sei magersüchtig. Das stimmt nicht. Sie lügen mich an. Mir ins Gesicht. Sehen mir dabei in die Augen. Jetzt ist eine Therapie für mich angesetzt. Meine Mutter hat irgendetwas mit dem Arzt besprochen. Er sieht aus, als hätte er eine Kartoffel im Gesicht. Mitten drin. Wahrscheinlich würde ich darüber lachen. Mir ist nicht nach lachen. Im Moment nicht. Mir ist überhaupt nicht nach fröhlich sein. Sie haben mir keine Waage ins Zimmer gestellt. Ich habe gesagt, dass ich eine will. Hören sie mir zu? Dabei kann ich nicht einmal richtig aufstehen. Wenn eine hier wäre, würde ich mich besser fühlen. Da bin ich mir sicher, weil ich mich sicher fühle. Dann, wenn ich eine habe. Dann kann ich es kontrollieren. Das können sie alle nicht verstehen. Sie sind nicht wie ich. Sie sind anders. Ganz anders. Sie sagen, sie verstünden mich. Mich und meine Lage. Dabei verstehen sie gar nichts. Wieder eine Lüge. Eine Lüge im Meer von tausend Lügen.
Der Tropf an meiner Hand stört mich. Es soll weg. Alles soll weg. Ich möchte so gerne nach Hause. Hier kann ich die Kontrolle verlieren. Ich muss aufpassen.
Plötzlich geht die Tür auf. Ich erschrecke mich. Eine Krankenschwester. Mit Frühstück?! Nein, sie hat sich sicher im Zimmer geirrt. Ich habe nie gesagt, ich möchte. Ich habe gesagt, ich möchte nicht.
Sie klingt sehr nett, wenn sie spricht. Trotzdem ist da eine Blockade sie zu mögen. Sie bringt mir zu essen.
Sie stellt es auf den Tisch neben meinem Bett. Ich solle schön alles aufessen, sagt sie mit einem Lächeln. Das Lächeln gefällt mir auch, aber ich kann sie trotzdem nicht leiden. Gar nicht.
Sie ist wieder weg. Mir fällt gar nicht ein etwas davon zu essen. Unnötig. Unnötige Verschwendung. Sie werden es wegschmeißen müssen.

Sonntag, 25. September 2011

sechs

Gestern ist weg. Einfach weg. Ich weiß nichts mehr. Ich bin heute hier aufgewacht. Ein Krankenhaus. Ich weiß nicht recht, was passiert ist.
Zusammengeklappt. Unterernährt. Zu dünn. Das einzige, was ich die ganze Zeit hören muss. Ich bin mir nicht sicher, ob überhaupt von mir gesprochen wird. Es ist unwirklich, irgendwie. Ich weiß nicht, wie lange ich heute wach war. Mein Körper fühlt sich so schwach an, so leblos. Ich weiß nicht was los ist mit mir. Ich habe nicht einmal das Bedürfnis aufzustehen und einfach zu gehen. Ich möchte einfach nur liegen. Nichts tun. Nichts tun müssen. Die Stimme in meinem Kopf ist nicht verschwunden. Ich wünsche, ich könne sie einfach abstellen. Ich will das nicht hören. Jetzt nicht. Jetzt nicht, weil ich so schwach bin.
Wie kann ich nur so denken? Nein! Ich brauche sie. Sie hilft mir, sie sagt, was ich tun muss. Ich schaffe das nicht alleine. Ich bin abhängig. Abhängig von etwas, das es nicht gibt. Nicht wirklich. Nur so; für mich. Ich bin nicht schwach!
Ich höre meinen Namen. Immer wieder. Es fällt mir schwer, meine Augen zu öffnen. Ich schaffe es. Meine Mutter sieht mich an. Jetzt erst bemerke ich ihre Berührungen an meiner Hand. Ich fühle mich kraftlos. Keine Kraft, um meine Hand wegzuziehen. Was ist bloß los mit mir?

Freitag, 23. September 2011

fünf

Der Tag ist vorbei. Erfolgreich vorbei. Ein schönes Gefühl umgibt mich. Es fühlt sich fast warm an. Ich liege auf meinem Bett. Der Blick unter die Decke. Ich liege hier, muss nichts weiter sehen, als die weiße Decke über mir. Ich muss nichts denken und doch tue ich es. Man kann nichts dagegen tun. Ich fühle mich wie in Trance. Weiß nicht woher es kommt. Ich schließe die Augen für einen Moment, öffne sie wieder. Es hat sich nichts verändert. Was hatte ich auch erwartet? Und doch habe ich es irgendwie gehofft. Immer noch die weiße Decke, dasselbe Gefühl. Und immer noch der Wille und etwas in mir, das mir sagt, wie es weiter gehen wird. Wie es weiter gehen muss.

Ich glaube, über diesen Gedanken bin ich eingeschlafen. Zwei Stunden später wieder aufgewacht. Es war ein Alptraum. Ich wurde verfolgt. Wovon weiß ich nicht. Ich kann mich nicht erinnern. Die Umgebung war dunkel. Es war kalt, düster und nass. Ich bin gerannt, geflüchtet. Es kam mir vor, als wäre ich es selbst gewesen, die mich verfolgte.
Aber das ist völliger Schwachsinn. Ich reibe mir die Augen, setze mich auf. Ich weiß nicht, wie lange ich so saß. Ich dachte einfach nichts. Oder ich kann mich daran nicht mehr erinnern; jetzt.
Ich schlafe wieder, wache wieder auf, schlafe wieder. Als könne ich mich nicht entscheiden.

Donnerstag, 22. September 2011

vier

Verdammt! Wie konnte ich nur? Ich habe es getan. Ich habe es getan! ICH HABE ES GETAN!
Ich konnte mich nicht wehren. Nichts dagegen tun. Jetzt ist es zu spät. Es ist zu spät. Tränen rollen über mein Gesicht, während ich in meine Speckrollen am Bauch kneife, sodass es weh tut. Ich habe es verdient. Wie konnte ich auch nur so nachgiebig sein? Zwei Tage lang hatte ich es doch auch geschafft. Heute war ich zu schwach. Der Apfel ist in meinem Bauch. Zu spät.
Tränen tropfen auf mein Kissen. Ich sitze auf meinem Bett, starre auf das Muster der Bettwäsche. Das Fett habe ich losgelassen. Ich will es nicht an meiner Hand spüren. Es widert mich an. Mir wird schlecht. Ich schließe die Augen. Sehe nichts. Dieses Nichts gefällt mir. Ich wünsche mich dort hin. Dort hin, wo nichts ist. Wo es nichts gibt. Keine Versuchung. Einfach nichts.

Mittwoch, 21. September 2011

drei

Gestern habe ich den ganzen Tag nicht gegessen. Nichts. Nicht einmal mehr den Apfel, den ich mir erlaubte. Jeden Tag einen. Das war zu viel. So kann das ja nichts werden! Das habe ich jetzt eingesehen. Ich glaube, selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht mehr anfangen zu essen. Die Stimme in meinem Kopf würde es verbieten. Aber ich will es ja auch nicht.


Wie kann ich nur so einen Gedanken zulassen? Ich darf nicht daran denken mehr zu essen. Wenn ich es tue, wenn ich zu viel esse, ist es zu spät. Ich bin stark. Ich kann das. Ich will das. Ich schaffe das. Heute werde ich auch nichts essen. Schnellere Erfolge. Dieses Gefühl auf der Waage zu stehen, zu sehen, dass mein Gewicht reduziert ist. Ich kann nicht mehr ohne. Ich will nicht mehr ohne. Und es zeigt mir, dass ich schöner werde. Aber es reicht nicht. Ich brauche mehr. Fast wie eine Droge.

Montag, 19. September 2011

zwei

Heute war es wieder soweit. Ich musste aufstehen, mich anziehen und zur Schule gehen.
Heute morgen stand ich im Bad. Mein Spiegelbild ekelte mich an. Das Fett quillt über den Hosenbund. Niemals würde es jemand zugeben, dass er dasselbe sieht wie ich. Feige Menschen. Wie gesagt.

In der Schule ist es schon fast leicht. Eigentlich. Es achtet niemand darauf, ob du isst oder nicht. In der Pause stehen wir da. Ich bin nicht die einzige, die nicht isst. Da fällt es nicht so auf. Ich überspiele es. Keiner merkt etwas. Viel reden. Ablenken. Ablenken von dem was unwichtig ist. Was nicht sein darf.

Es war schwierig heute. Jemand hat mich danach gefragt. Ich rede nicht gerne darüber. Ich finde es ist einfach nicht nötig. Wofür auch? Ich weiß auch so, was ich zu tun habe. Mir muss niemand helfen. Mir darf niemand helfen. Ich kann das schaffen. Ich werde es schaffen. Sie fragte mich danach, warum ich nicht mehr esse. Oder warum sie mich so lange nicht mit etwas zu Essen gesehen haben. Ich tat alles ab. Es geht sie nichts an. Es ist meine Sache und es wird ganz allein meine Sache bleiben. Für immer.

Samstag, 17. September 2011

eins

Regen tropft an mein Fenster. Ich höre ihn, wenn er auf das Dach trifft und auf das Fenster. Es klingt schön. Ich konzentriere mich auf ihn, den Klang, und denke nicht mehr daran, wie ich mich fühle. Wie ich mich fühlen muss. Denn ich bin dick. Zu dick. Ich muss dieses Gefühl aushalten, wenn es wieder soweit ist. Wenn mein Wille stärker sein muss, als alles andere. Ich muss abnehmen, dünn sein. Und schön. Ich bin hässlich, weil ich dick bin. Nein. Ich bin fett.
Auf der Straße werde ich angesehen. Jeden Tag. Ich weiß, was die Menschen denken. Sie sagen es nur nicht. Sie sind feige.

zum Blog.

ich veröffentliche Kurzgeschichten, die ich in Tagebuchform geschrieben habe. 
das alles ist fiktiv !