Samstag, 29. Oktober 2011

siebzehn

Zeit ist vergangen. Viel Zeit. Ich weiß das und doch habe ich es nicht bemerkt. Sie haben es mir erzählt, aber ich liege bloß hier und warte darauf, dass etwas passiert. Aber es passiert nichts.
Die Decke, an die ich starre, hat sich verändert. Ich liege nicht mehr in meinem alten Zimmer.
Meine Eltern. Wo sind sie? Ich habe sie lange nicht gesehen, glaube ich. Aber. Aber will ich denn das überhaupt?
Meine innere Stimme will. Ich spüre das. Um nicht zu sagen, ich höre das. Will nicht jedes Kind einfach bei seiner Mama sein, wenn es ihm nicht gut geht. Ich kann allerdings nicht einmal sagen, wie es mir geht.
Ich will einfach nur hier raus. Raus aus dieser Umgebung. Raus aus dieser Unsicherheit. Raus aus meinem hässlichen, ekelhaften Körper.

Samstag, 8. Oktober 2011

sechzehn

Ich liege in meinem Bett. Blick an die Decke gerichtet. Weiß. Einfach weiß. Ein Fleck an der Decke. Schwarz.
Ich fühle mich leer und kalt. Kälter als an den schlimmsten Tagen der letzten Zeit. Die Leere scheint mich zu erdrücken. Ich fühle mich schwer. Als ob mich die Leere schwer machen würde. Es ist komisch. Wie in Trance komme ich mir vor. Schlimmer als es jemals war. Ich kann die Augen kaum noch auf halten. Ich erinnere mich an die Schmetterlinge, die ich manchmal sah. Frei von Sorgen. Fliegen dahin. Der Wind trägt sie. So schön. Genauso, wie ich auch sein möchte.
Ich schließe die Augen.
Sie haben gesagt 24,4 Kilo sei zu wenig für mich. Ich sehe das anders. Und plötzlich fühle ich mich leicht, federleicht. Ich könnte davon fliegen, wenn ich wollte. Der Wind würde mich einfach mitnehmen.

 

Freitag, 7. Oktober 2011

fünfzehn

Die Tage ziehen dahin. Ich esse nicht mehr. Gar nichts. Ich habe Angst bekommen, dass ich zunehmen könnte, wenn ich trinke. Kann Wasser dick machen? Ich bin mir nicht sicher. Das Risiko ist zu groß. Ich trinke nur noch kleine Mengen. Ich habe es reduziert. Der Durst macht mich wahnsinnig, wenn ich gar nichts trinke. Ich trinke nur das mindeste. Seit ein paar Tagen jetzt. Kein Essen, kaum Trinken. Besser funktioniert es nicht. Mir wird kein Vorwurf gemacht, von der Stimme. Das ist schön. Schönes Gefühl. Gutes Gefühl. Ich liege seit Tagen im Bett. Essen und Trinken wird mir gebracht. Auch wenn ich sage, dass sie das nicht müssen; aufhören tun sie nicht. Sie machen immer weiter. Versuchen mich zum Essen zu bringen. Ohne Erfolg. Gut so.
Ich kann nicht mehr aufstehen. Ich kann nicht einmal mehr zum Wiegen gehen. Das macht mich fertig. Das macht mich ganz krank! Ich kann nicht ohne dieses Gefühl. Ich fühle mich ohne schwerer, als ohne hin schon. Es ist schrecklich. Einfach schrecklich!
Den ganzen Tag über blicke ich an die Decke. Der Fernseher läuft hin und wieder. Oder ich lege mich auf die Seite und schaue aus dem Fenster. Die Vögel fliegen vorbei. Manchmal kann ich auch einen Schmetterling erkennen. Sie sind schön und hübsch. So bunt und frei. Frei von allen Sorgen. Sie müssen sich keine Gedanken machen. Keine Gedanken darüber, wie sie aussehen. Wie sie es anstellen, so zu bleiben oder schöner zu werden. Ich möchte auch dahin fliegen.

Mittwoch, 5. Oktober 2011

vierzehn

Ich habe keine Waage bei mir. Nicht bei mir im Zimmer. Ich durfte keine mit herbringen. Mir wurde keine gegeben, als ich hier war. Manchmal muss ich aber doch zum Wiegen. Wenn ich ein bestimmtes Gewicht erreicht habe, darf ich gehen. Nach Hause darf ich dann gehen. Sie sagen, bei mir sei das noch ein weiter Weg. Aber das glaube ich nicht. Ich bin dick und fett. Das muss genug wiegen. Und doch war es bisher immer zu wenig. Heute muss ich wieder hin. Irgendwie freue ich mich darauf. Zu sehen, wie mein Gewicht abnimmt. Das schöne Gefühl erleben. Wieder und wieder. Und doch habe ich Angst davor. Angst davor, hören zu müssen, dass es zu wenig ist. Dass ich nicht gehen darf. Es ist ein Zwiespalt für mich. Ich kann mich nicht entscheiden was schöner wäre. Ich glaube Gewicht zu verlieren. Ja. Etwas schöneres gibt es nicht. Nach Hause zu dürfen macht diesem aber schon Konkurrenz, glaube ich jedenfalls.
Ich werde abgeholt. Gemischte Gefühle. Gedanken. Angst. Freude.
Ich schließe die Augen, als ich auf der Waage stehe. Ich möchte das Gefühl aufheben. Nur für ein paar Sekunden. Oder Bruchteile einer Sekunde. Ich weiß es nicht. Ich öffne die Augen. Sehe hinunter. Die Anzeige. Freude durchströmt mich. Viel Freude. Ich habe Gewicht verloren, denke ich. Die Stimme lobt mich. So, wie sie es immer tut. In diesen Situationen. Dafür lohnt es sich. Die ganze Last. Nur für diese Momente lohnt es sich schon. Ein Lächeln schleicht über mein Gesicht. Das Lächeln hat sich lange nicht mehr bei mir blicken lassen. Ich hoffe der Arzt hat es nicht bemerkt. Ich möchte nicht, dass er es sieht. Der Moment gehört mir. Mir ganz allein. Ich möchte ihn nicht teilen. Mit niemandem.
Ihn scheint es nicht zu freuen, was er sieht. Für mich unverständlich. Ohne Sinn. Wieder die gleichen Worte, die ich hören muss. Ich müsse zunehmen. Etwas essen. Er sagt ich würde sterben, wenn ich es nicht täte. Dabei bin ich doch dick. Dicke Menschen können nicht daran sterben unterernährt zu sein. Aber wenn er recht hat. Wäre das schlimm? Nein. Ich glaube nicht. Ja, okay. Lieber sterben. Lieber sterben, als fett zu sein. Fett und hässlich. Das bin ich. Was soll ich dann noch hier? Im Tod ist das nicht wichtig. Da ist es egal. Lieber jetzt als nie. Ich glaube, so sehe ich das.