Mittwoch, 5. Oktober 2011

vierzehn

Ich habe keine Waage bei mir. Nicht bei mir im Zimmer. Ich durfte keine mit herbringen. Mir wurde keine gegeben, als ich hier war. Manchmal muss ich aber doch zum Wiegen. Wenn ich ein bestimmtes Gewicht erreicht habe, darf ich gehen. Nach Hause darf ich dann gehen. Sie sagen, bei mir sei das noch ein weiter Weg. Aber das glaube ich nicht. Ich bin dick und fett. Das muss genug wiegen. Und doch war es bisher immer zu wenig. Heute muss ich wieder hin. Irgendwie freue ich mich darauf. Zu sehen, wie mein Gewicht abnimmt. Das schöne Gefühl erleben. Wieder und wieder. Und doch habe ich Angst davor. Angst davor, hören zu müssen, dass es zu wenig ist. Dass ich nicht gehen darf. Es ist ein Zwiespalt für mich. Ich kann mich nicht entscheiden was schöner wäre. Ich glaube Gewicht zu verlieren. Ja. Etwas schöneres gibt es nicht. Nach Hause zu dürfen macht diesem aber schon Konkurrenz, glaube ich jedenfalls.
Ich werde abgeholt. Gemischte Gefühle. Gedanken. Angst. Freude.
Ich schließe die Augen, als ich auf der Waage stehe. Ich möchte das Gefühl aufheben. Nur für ein paar Sekunden. Oder Bruchteile einer Sekunde. Ich weiß es nicht. Ich öffne die Augen. Sehe hinunter. Die Anzeige. Freude durchströmt mich. Viel Freude. Ich habe Gewicht verloren, denke ich. Die Stimme lobt mich. So, wie sie es immer tut. In diesen Situationen. Dafür lohnt es sich. Die ganze Last. Nur für diese Momente lohnt es sich schon. Ein Lächeln schleicht über mein Gesicht. Das Lächeln hat sich lange nicht mehr bei mir blicken lassen. Ich hoffe der Arzt hat es nicht bemerkt. Ich möchte nicht, dass er es sieht. Der Moment gehört mir. Mir ganz allein. Ich möchte ihn nicht teilen. Mit niemandem.
Ihn scheint es nicht zu freuen, was er sieht. Für mich unverständlich. Ohne Sinn. Wieder die gleichen Worte, die ich hören muss. Ich müsse zunehmen. Etwas essen. Er sagt ich würde sterben, wenn ich es nicht täte. Dabei bin ich doch dick. Dicke Menschen können nicht daran sterben unterernährt zu sein. Aber wenn er recht hat. Wäre das schlimm? Nein. Ich glaube nicht. Ja, okay. Lieber sterben. Lieber sterben, als fett zu sein. Fett und hässlich. Das bin ich. Was soll ich dann noch hier? Im Tod ist das nicht wichtig. Da ist es egal. Lieber jetzt als nie. Ich glaube, so sehe ich das.

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